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Ja, Zukunftslust, verdammt!

Dystopie? Falsche Frage. Doch für einen Klima­diskurs der berechtigten Hoffnung kommt es tatsächlich auf unsere Erzählungen an.

Von Daniel Graf (Text) und María Jesús Contreras (Illustration), 14.02.2023

Quelle: https://www.republik.ch/2023/02/14/ja-zukunftslust-verdammt

1. Erzähl mir vom Untergang

Der Ruf der Apokalypse hat zuletzt ziemlich gelitten. Seit sich das Weltende nicht mehr bevorzugt im Popcorn-Kino abspielt, sondern in Form des drohenden Klima­kollapses die Medien, die Debatten und das Lebens­gefühl durchdringt, werden auch die Klagen über den Sound der Klima­debatte lauter: Bitte nicht immer nur Welt­untergang! Schluss mit den ständigen Dystopien! Gebraucht würden vielmehr positive Geschichten, Visionen, Utopien – als Mutmacher und Motivation.

Richtig daran ist: Ohne Hoffnungs­perspektive gibt es keinen Kampf gegen die Klima­katastrophe. Wohliges Untergangs­gruseln ist für jede Art von Problem­lösung als Aller­letztes zu gebrauchen. Und die politischen Fragen der Klimakrise haben tatsächlich aufs Engste mit unseren Erzählungen zu tun, mit der Art, wie wir über die Krise sprechen.

Allerdings, was die Anhänger erbaulicher Happy-End-Storys übersehen: Klima­angst und -verzweiflung entstehen nicht allein durch Horror­szenarien – sondern vor allem durch politische Taten­losigkeit, inhalts­leeren Optimismus und falschen Trost. Wenn es 2 vor 12 ist und man den Problem­bewussten mit einer Kombi aus Beschwichtigen und Verharren kommt, ist das kein Mut­macher, sondern eher Anlass zur Panik. Oder wie es Greta Thunberg in dem von ihr heraus­gegebenen «Klima-Buch» ausdrückt (das mit seiner in globaler Kooperation entstandenen Vielstimmigkeit ein absolutes Referenz­werk geworden ist): Für «die jungen Leute, die in den Statistiken als ‹besorgt› oder ‹extrem besorgt›» auftauchen, «sind Meldungen über die Klima­krise nicht annähernd so deprimierend wie die Tatsache, dass diese Meldungen ignoriert werden».

Das entspricht exakt dem, was gross angelegte internationale Studien zur Klimaangst bei jungen Menschen jüngst ergeben haben: Ungenügende politische Reaktionen auf den Klima­notstand sind der grosse Angst­treiber – nicht apokalyptisch grundierte Warnungen. Und die Literatur­wissenschaftlerin Eva Horn, die sich auf Zukunfts­erzählungen und die Narrative der Klima­krise spezialisiert hat, hält in einem brillanten Essay fest: Wir brauchen die Schwarz­malerei – und zwar eine, die nicht defätistisch, sondern kritisch, ernsthaft, realistisch und mit einem scharfen Bewusst­sein für die akute Dringlichkeit argumentiert.

Rehabilitierung also für die Dystopie. Und wo bleiben die positiven Erzählungen?

Der Witz ist: Was Eva Horn als Eigenschaften düsterer Zukunfts­prognosen aufzählt, liesse sich ganz ähnlich auch für die Klima-Utopien der Literatur­geschichte von Ernest Callenbachs «Ökotopia» (1975) bis zum Roman «Ministerium für die Zukunft» (2021) des Science-Fiction-Autors Kim Stanley Robinson postulieren. Und es ist eine für die Klima­debatte durchaus instruktive Pointe, dass in einschlägigen literatur­wissenschaftlichen und philosophischen Lexika die Dystopie gar keinen eigenen Eintrag hat. Sie wird dort nämlich, als negative Version, unter dem Stichwort Utopie abgehandelt. Das hat spezifisch kultur­historische Gründe, die hier nicht weiter interessieren, aber es führt auf einen für die Klima­diskussion zentralen Punkt: Utopie und Dystopie lassen sich als komplementär, als zwei Seiten derselben Medaille verstehen. Damit entgeht man der irreführenden Logik eines angeblichen Gattungs­streits – und bekommt die politischen Fragen präziser in den Blick.

Denn egal, ob utopische Zukunfts­entwürfe vom erfolgreichen Zurück­drängen der Bedrohung erzählen oder die düstere Zukunfts­vision das menschliche Scheitern vor Augen stellt: Gesellschafts­kritisch produktiv sind solche Hoch­rechnungen der gegenwärtigen Ausgangs­lage in eine (nahe) Zukunft dann, wenn sie konkrete Handlungs­optionen aufzeigen – und noch grundsätzlicher: indem sie exemplarisch vorführen, dass Handeln nötig und möglich ist. Dass die Zukunft nicht determiniert ist, auch jetzt noch nicht. Sondern von menschlichen Entscheidungen abhängt.

«Utopie oder Dystopie?», «Pessimismus oder Optimismus?» sind deshalb falsch gestellte Fragen.

Die eigentlichen Fragen sind: Wie entdecken und aktivieren wir in uns selbst die Entschlossenheit zur Veränderung? Den Glauben an die Wirksamkeit des eigenen Handelns? Den Willen, es endlich anders zu machen?

Welche Tricks helfen gegen Lähmung und Defätismus? Welche Einstellungen braucht es, um sich selbst als Teil der Veränderung zu begreifen? Was hilft gegen Zynismus und das Gefühl von Aussichts­losigkeit?

Kurz: Wie entsteht, trotz allem, so etwas wie Zukunfts­lust? Und zwar nicht naiv-weltflüchtig, sondern aufgeklärt-engagiert?

In ihrer gesellschafts­kritischen, von der realen Gegenwart ausgehenden Variante sind der klima-utopische ebenso wie der klima-dystopische Zukunfts­entwurf beide Impuls­erzählungen: Sie sind auf Konsequenzen aus – und realisieren ihr Potenzial überhaupt erst in ihnen. Die Enden, die sie erzählen, sind in Wirklichkeit immer nur Anfänge: Sie übergeben das Staffel­holz an uns.

Für das Verhältnis von Klima­notstand und Erzählen heisst das nichts anderes, als dass es die Position des blossen Lesers nicht gibt. Wenn die Klima­krise zwar in unterschiedlicher Weise, aber dennoch jede Einzelne betrifft, dann ist auch jeder Lebens­entwurf, jede unserer Selbst­erzählungen davon betroffen.

Mit anderen Worten: Wir brauchen eine Zukunfts­erzählung mit dem Arbeits­titel «Der Kampf gegen die Klima­katastrophe und ich».

2. Selbsterzählungen oder: Grammatik der Klima­krise

Geschichten, ob in der Literatur oder im Alltag, werden normaler­weise in der Vergangenheits­form (und manchmal im Präsens) erzählt. Beim Nachdenken über unsere eigene Rolle in Sachen Klima­wandel aber hilft eine eher abseitige grammatikalische Zukunfts­form.

Das jedenfalls ist die Idee der von dem Soziologen Harald Welzer ins Leben gerufenen Stiftung Futurzwei, an die sich einmal wieder zu erinnern lohnt, weil ihr Grund­gedanke nach vielen Jahren Klima­debatte noch immer zu den besonders inspirierenden gehört. Er geht so: Menschen handeln dann am verantwortungs­vollsten, wenn sie sich selbst nach den ethischen Mass­stäben ihres zukünftigen Ichs (oder späterer Generationen) beurteilen – sozusagen aus dem Futur zwei, der vollendeten Zukunft heraus. Also: Welches Leben werde ich geführt haben? Was werde ich getan, was unterlassen haben? Wie will ich später, im Rückblick, erinnert werden? Oder konkreter: Wo werde ich beim Kampf gegen die Klima­krise Teil des Problems, wo Teil der Lösung gewesen sein?

Produktiv ist solches Fragen nicht, weil dabei die wahrscheinlich einzigen Sätze rauskommen, bei denen tatsächlich mal jemand ausserhalb von Grammatik­lehrbüchern Sätze in diesem reichlich verschrobenen Tempus formuliert. Sondern weil solche Art der Selbst­befragung als moralische Richt­schnur dient und sich auf sehr konkrete, machbare Alltags­vorhaben runterbrechen lässt: Welches selbst gewählte Ziel will ich bis zum Zeitpunkt X erreicht haben? Wo will ich mich engagiert, wofür will ich mich eingesetzt haben? Oder ganz schlicht: Welche Gewohnheit ändere ich als Nächstes?

Im Unterschied zum neoliberalen Selbst­optimierungs­wahn ist diese Art der fortlaufenden Selbst­erzählung kein Mittel, sondern Zweck: Es dient nicht dem nächsten Wettbewerbs­vorteil im spät­kapitalistischen Gerangel. Sondern trägt das Versprechen in sich, mit den eigenen Werten in Einklang zu kommen.

Aus aufgeklärten Selbst­erzählungen, die zu konkretem Handeln führen, entstehen reale Erfahrungen von Selbst­wirksamkeit – die wiederum auf einen überindividuellen Werte­kompass bezogen sind. Das schafft so etwas wie: Hoffnung, Orientierung, Sinn.

Weil Zukunft das ist, was in der Gegenwart geschaffen wird, gilt auch: Unsere Zukunfts­entwürfe prägen jetzt das Handeln.

Futur zwei ist ein Gegenwarts­tempus.

3. Bullshit-Erzählungen

Futur zwei, schön und gut. Trotzdem kennen vermutlich die meisten den Effekt, dass trotz Klimaangst und Krisen­bewusstsein nicht unbedingt das entschlossene Handeln dominiert – sondern Ohnmachts­gefühle, Entmutigung, Untätigkeit.

Wenn auch das etwas mit dem Klima­diskurs und mit gängigen Narrativen zu tun hat, dann reicht es vermutlich nicht, zu fragen, welche Erzählungen und Sprechweisen fehlen oder zu wenig Raum einnehmen. Sondern auch, welche Narrative einer Veränderung im Weg stehen. Welche Diskurse in Wirklichkeit nur Ablenkungs­manöver, Nebel­petarden und Ausreden sind. Welche Erzählungen vielleicht einzig zu dem einen Zweck erfunden wurden, dass es nicht vorangeht.

Dafür genügt manchmal schon die sinn­entstellende Verwendung einzelner Wörter. Zum Beispiel, wenn Klima­aktivistinnen ständig das Label «radikal» aufgedrückt wird, obwohl sie nichts anderes fordern, als dass sich die Staaten an das 1,5-Grad-Ziel halten, zu dem sie sich längst bekannt haben.

Zweites Beispiel: Man appelliert an tief sitzende Verlust­ängste nach dem Muster «Unser Wohlstand ist bedroht». Leider unterläuft das ungewollt auch der progressiven Seite, wenn sie verkündet, die Menschen müssten akzeptieren, dass «die besten Jahre vorbei» seien. Man versteht ja, wie es gemeint ist: degrowth, weg vom Wachstums­fetisch – völlig einverstanden. Aber was soll dabei die Rede vom «Besten»?

Die Philosophin Carolin Emcke hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: «Das Beste, das jetzt vorbei zu sein scheint, war doch gar nicht das Beste.» In der Tat: Der alte «Fortschritt», war das nicht der Natur­zerstörungs- und Ausbeutungs­fortschritt, der uns die ganze Misere überhaupt erst eingebrockt hat? Wer also meint, dass «das Beste» vorbei ist, muss ehrlicher­weise fragen: Das Beste für wen? Und wer hat den Preis dafür bezahlt?

Die Krux am Erzählen ist: Solange eine Geschichte von aussen nach Kohärenz aussieht und vielleicht sogar noch an eingeschliffene Narrative andocken kann («die fetten Jahre sind vorbei»), kommt uns schnell plausibel vor, was in Wirklichkeit nur einer Pseudo­logik folgt. Oder weniger förmlich: Wenn die Verpackung stimmt, lassen wir uns auch gern mal Bullshit unterjubeln.

Diskussionen um utopische oder dystopische Erzählungen wirken deshalb leicht etwas ätherisch, wenn sie nicht komplementär auch ein wenig diskursive Aufräum­arbeit verrichten – und die Bullshit-Storys entsorgen, die weit mehr Schaden anrichten als jede aufgeklärte Schwarz­malerei.

Einen ewigen Klassiker dieser Bullshit-Erzählungen hat die Autorin Hilal Sezgin in ihrem Buch «Nichtstun ist keine Lösung» als Phänomen der «Minimalisierung» beschrieben: Man redet alles, was in die richtige Richtung geht, systematisch klein – und spielt die einzelnen Ansätze gegeneinander aus. Auf die Klima­krise übertragen, geht das zum Beispiel so: Klima­freundliche Produkte? Damit rettest du die Welt auch nicht! Petitionen? Sind noch keine Politik. Klima­bewusst wählen? Delegiert nur die Verantwortung. Sich politisch engagieren? Machst du doch nur aus Geltungs­drang. Demonstrieren? Nützt nix – man müsste in den politischen Macht­zentren sitzen.

Dieses Spielchen lässt sich natürlich endlos weiterspielen – und immer wäre etwas anderes gerade viel wirkungsvoller (das man dann allerdings genauso unterlässt). Der Taschenspieler­trick ist jedes Mal derselbe: Falsche Konkurrenzen werden konstruiert. Als müsste man, um das eine zu tun, das andere lassen. Als gäbe es irgendein Wunder­mittel, das das ganze Problem auf einmal löst.

Ein anderes Standard­narrativ der Bremserinnen und Miesepeter gegenüber denen, die aktiv werden, lautet: Die machen das doch nur, um sich gut zu fühlen. Daniel Strassberg hat kürzlich in seiner Republik-Kolumne dargelegt, dass darin ein Trug­schluss liegt, der die konstruktive Kraft des guten Gefühls unterschätzt. Die suggestive Rhetorik solcher Sätze will aber ohnehin nicht auf ein Sach­argument hinaus, sondern spielt auf die Person. Mit der pauschalen Unterstellung, es gehe dabei «nur» um das gute Gefühl, liesse sich jede einzelne sinnhafte Handlung auf der Welt diskreditieren. Und wieder wird mit falscher Konkurrenz operiert, als dürfe es zwischen Altruismus und Eigen­interesse keine Schnitt­mengen geben.

Soll es etwa die Bedingung einer guten Tat sein, sich danach schlecht fühlen zu müssen? Streicht man aus dem Satz die Unterstellung «nur» und übersetzt, was dann da eigentlich steht, wird umso deutlicher, wie abstrus solche Vorwürfe sind: Du tust das Sinnvolle, weil es dir sinnvoll scheint! – Ähm, ja genau.

Die schädlichste, weil scheinbar plausibelste Bullshit-Erzählung ist aber eine andere. Ihre Kurzformeln lauten: «Das bringt doch alles nichts» oder «Alles, was ich tun kann, ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein».

Die Macht dieser Erzählung liegt darin, dass sie ein Lebens­gefühl zum Ausdruck bringt, das vermutlich selbst die unverbesserlichsten Optimisten kennen. Spätestens mit der erdrückenden Präsenz der aktuellen Polykrise – Klima, Covid, Krieg … –, spätestens mit dem x-ten ergebnislosen Klima­gipfel müsste man völlig abgestumpft sein, um nicht zumindest hin und wieder von einem dröhnenden Gefühl der Ohnmacht, von heilloser Über­forderung, von scheinbar totaler Aussichts­losigkeit überfallen zu werden. Das ist menschlich und phasenweise geradezu unvermeidlich.

Dennoch trifft Rebecca Solnit den zentralen Punkt, wenn sie sagt, wir haben kein Recht zu kapitulieren – schon gar nicht, wenn «wir» die Bewohner der westlichen Wohlstands­zonen meint. Aus dem historisch verursachten Klima­notstand resultiert eine unhintergehbare Verantwortung, im Sinne von responsibility ebenso wie von accountability: für künftige Generationen, für die jetzt schon am stärksten Betroffenen, für das nicht menschliche Leben und angesichts der längst sich auch hier vollziehenden Katastrophe immer mehr auch für uns selbst.

Allein dieser ethische Imperativ wäre Grund genug, gegen jede Form von Defätismus Einspruch zu erheben – und die Narrative der Hoffnungs­losigkeit zurück­zuweisen. Aber auch jenseits von normativen Argumenten zeigt sich: Die Erzählung mit dem Refrain «bringt doch alles nichts» verliert bei genauerem Hinsehen jegliche Plausibilität. Paradoxer­weise steckt darin zugleich eine Überschätzung und eine Unterschätzung des Einzelnen. Eine Überschätzung, weil die Klage über den winzigen eigenen Wirkungs­raum so tut, als müsste eine einzelne Person, wie im Superhelden-Film, den Karren auch ganz allein aus dem Dreck ziehen können. Hinter dem Lamento über die geringe eigene Wirkung steckt also womöglich eine völlig überzogene Erwartungs­haltung (und vielleicht auch eine Portion Narzissmus). Noch einmal Greta Thunberg:

Auf keinen Fall können wir erwarten, dass wir als Einzelne das Fehl­verhalten von Regierungen, Medien, multinationalen Konzernen und Milliardären kompensieren sollten. Diese Vorstellung ist absurd. Als Individuen können wir zwar vieles tun, aber diese Krise ist nichts, was ein Mensch allein bewältigen könnte.

Der eigentliche Irrtum aber ist die Gering­schätzung des eigenen Spiel­raums. Denn abgesehen davon, dass die Überzeugung, etwas Sinnvolles zu tun, schon mal mindestens einen Effekt auf einen selbst hat: Im sozialen Kontext wirkt das Tun jedes Einzelnen immer auch auf andere. Es ist Vorbild, Ermutigung, abschreckendes Beispiel oder das Aufzeigen von Alternativen – ein lebender Beweis, dass es auch anders geht. Das Argument, das eigene Tun sei wirkungslos, kann konsequent nur vertreten, wer von sich selbst als einem isolierten Ich denkt. In Wirklichkeit stehen wir in komplexer Verbindung zu anderen. Schon deshalb ist das, was wir tun, alles andere als gleichgültig.

Klingt zu blumig?

Man kann es auch ganz nüchtern mathematisch betrachten. Jeder Schritt zu einem ökologischeren Konsum, jede Handlung, die auch einen anderen zum Umdenken animiert, jedes wirklich eingesparte Gramm CO2 macht einen winzigen Unterschied. Es ist aufs Ganze besehen ein lächerlich geringer Beitrag – aber er ist grösser als null. Jeder einzelne dieser Schritte ist zudem ein Statement gegen den Zynismus, die Lähmung, das Einverständnis mit der eigenen Tatenlosigkeit. Und nichts, nichts von all dem war umsonst.

Isoliert betrachtet ist jeder dieser verschwindend kleinen Beiträge ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber es trifft die Realität eher, wenn wir ihn uns als Tropfen in ein riesiges Reservoir denken. Und das gilt selbst dann, wenn wir ignorieren, dass manche dieser winzigen Aktionen – eine Jugendliche geht freitags zum Schul­streik – Gewaltiges auslösen können. Weil es neben der Winzigkeit auch so etwas wie Inspiration und Nachahmung gibt.

4. Noch einmal: Futur zwei

Es ist schwer, nach Feierabend ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören.Eckart von Hirschhausen.

Die Soziologin Alexandra Schauer hat vor kurzem eine beeindruckende, aus historischen Tiefen­bohrungen gewonnene Gegenwarts­diagnose unter dem von Günther Anders geborgten Titel «Mensch ohne Welt» vorgelegt. Ihr Befund ist auf den ersten Blick von nieder­schmetternder Düsternis.

Einerseits, so Schauer, entfremde sich der Mensch von der Welt, weil diese «nicht mehr als Ort kollektiver Selbst­verständigung und politischer Gesellschafts­gestaltung» begriffen wird; andererseits entfremde er sich von sich selbst, «weil er nicht versteht, wie sein eigenes Leben mit der Gesellschaft, die ihn umgibt, in Zusammen­hang steht»:

Mensch ohne Welt soll heissen: In der Gegenwart geht das Verständnis dafür verloren, wie das Leben des Einzelnen mit dem Leben der Anderen durch ein Beziehungs­geflecht verbunden ist, das durch gemeinsames Handeln gestaltet werden kann.

Zu verzeichnen sei, so Schauer weiter, ein dramatisches «Schwinden des Möglichkeits­sinns». Die Folge aus all dem: «eine nie dagewesene Kluft zwischen der Notwendigkeit zum Handeln und der Fähigkeit dazu».

Nun könnte man fragen, ob diese Perspektive, so überzeugend sie hergeleitet ist, nicht doch vor allem die Verhältnisse im Globalen Norden widerspiegelt. Aber das Entscheidende ist: Wenn die emotionale Ausgangs­lage des «Menschen ohne Welt» die der Isolation und Abkoppelung ist, dann ist es essenziell, dass wir wieder die Verbindung zu unserer Umgebung herstellen und uns als Teil einer Bewegung begreifen. Und wenn das zentrale gesellschaftliche Problem ein akuter Mangel an Möglichkeits­denken ist, dann braucht es nichts dringender als Praktiken zur gemeinsamen Kultivierung des Möglichkeits­sinns.

Denn Hoffnung, vielleicht sogar so etwas wie Zukunfts­lust, entsteht nicht theoretisch, nicht allein durch Reden und Konzepte. Und schon gar nicht durch abwarten, bis sich die Mächtigen der Welt auf einen Masterplan geeinigt haben. Sondern durch gelebte kollektive Praxis.

Wer diesen Gedanken den Aktivistinnen, Künstlern und Philosophinnen nicht glauben will, der kann sich an die neueste psychologische Forschung halten. Die Studien zur Klima­angst bei jungen Menschen belegen nämlich eindrucksvoll: Das wirksamste Gegen­mittel sind konkrete Erfahrungen gemeinsamen Handelns. Eine brauchbare Futur-zwei-Erzählung von uns selbst kann deshalb nur eine sein, die das Ich in Relationen der Verbundenheit denkt. Die Frage «Wer willst du gewesen sein?» muss präziser lauten: «Wer willst du gewesen sein – in Bezug auf andere?»

In politisches Denken übersetzt, führt das direkt auf den Begriff der Solidarität. Klima­gerechtigkeit ist und bleibt die wichtigste politische Aufgabe der Gegenwart und Zukunft, weil Klima­politik ohne soziale Gerechtigkeit im Welt­massstab wie innerhalb der Gesellschaften niemals auf nachhaltige Akzeptanz stossen wird.

Aber alle Anstrengungen in diese Richtung bleiben abstrakt, wenn es ausschliesslich um politische Konzepte geht. Um auch eine nach­wachsende Ressource der Hoffnung zu werden, müssen Ideen in konkrete gemeinschaftliche Praxis übergehen: von kollektiven Aktionen und politischen Initiativen bis zum gelingenden Gespräch, zur erkenntnis­stiftenden Debatte und zu allen Formen wechselseitiger Inspiration. Der Mut, die Klugheit und die Klarheit anderer können in Momenten eigener Lähmung eine mächtige Energie­quelle sein, an die sich der «Mensch ohne Welt» dringend wieder anschliessen muss. Wir müssen ein Stück weit unsere eigene Hoffnung selber herstellen – durch die sinnstiftende Interaktion mit anderen.

Futur zwei also heisst: Wo willst du mitgemacht haben? Zur Auswahl stehen mindestens: Team Climate Justice und Team Kopf in den Sand.

PS

«Jede sekunde bestand aus 5 chancen / zur intervention», schreibt der Berliner Lyriker Asmus Trautsch in seinem Gedicht «Holozän». Die Pointe liegt offenbar auch hier in der grammatischen Zeit. Die Vergangenheits­form, so muss man die Zeilen wohl deuten, zeigt an: Weil wir zu lange gewartet haben, sind die Spiel­räume jetzt kleiner, die Anzahl der Chancen geringer geworden.

Aber sie ist definitiv grösser null.